CUTS AND VIEWS (2001)
Anmerkungen zu den Arbeiten von Kai Zimmer
Blicke
Kai Zimmer kreiert keine Bilder, er fängt sie ein. Zwei Orte sind
besonders beliebte Fangzonen. Das Fenster zur realen Welt und
das Fenster zur Imaginären (der Bildschirm). Zimmers Blicke sind
persönlich, und doch bleiben sie anonym. Der gewöhnliche Blick
aus dem Fenster dokumentiert in LIKE A COMPLETE UNKNOWN
(seit 1993) als Photoserie Stationen seiner Schlafplätze, in seinen
Videoinstallationen Lebensmittelpunkte. Aber nicht die Wohnungen
lernen wir kennen, sondern den Blick hinaus, auf die Straße, auf den
Parkplatz,…, in den Videoinstallationen
WORLD WIDE TUNED PARKING LOT (1995) und
BONANZA BUS STOP (1996) für 24 Stunden auf Video gebannt.
Nur in TVOYEUR (1995) dreht er den Blick um und zeigt durchs
Fenster den Fernseher als „Feuerstelle“ des 20. Jahrhunderts.
Der Blick aufs Medium. Arbeitet Zimmer in seinen frühen Filmen
noch mit Darstellern (BIER (1991), ROHES FEST (1992),
SPRACHGEFLÜGEL (1993), bedient er sich inzwischen überwiegend
des Found Footage bzw. selbst gedrehten, aber nicht
inszenierten Materials. Zum Beispiel Szenen des
alltäglichen Fernsehens mit besonderem Schwerpunkt auf das
Kino Hollywoods. Thematisch eng eingegrenzt sucht er das Material:
Fahrszenen in 3 MINUTES IN AMERICA (1996),
Westernszenen in TWO MINUTES IN AMERICA (1996),
Szenen aus Hitchcock-Filmen mit den Auftritten des Meisters
in CAMEO CASES (1997) oder ausschließlich Vor- und Abspanne
in END OF THE STORY (2000). Banal wie alltäglich.
Eine Geschichte als Plot wird man deshalb vergebens
in Kai Zimmers Videos finden, eine prägnante Aussage, wie noch
in seinen früheren Arbeiten, könnte der Plot sein.
Und inzwischen ist vielleicht die Reflexion
über das Medium Video und Film der Plot.
Es sind „seine“ Blicke auf das Kino und das Fernsehen und
deshalb filmt Zimmer das Material ab. Damit geht er auf Distanz,
aber die Bilder sind jetzt „seine“ Bilder. Das Abfilmen ist ein wichtiger
Schritt, um seine Bilder abstrakt zu machen. Neben der Distanz,
die er schafft, sind es die technischen Bedingungen beim Abfilmen,
die abstrahieren. Zimmer benutzt eine Röhrenkamera, die beim
Ein- und Ausschalten aufgrund des langsamen Bildaufbaus das
Originalbild zerstört und erst nach einer endlichen Zeit entstehen lässt.
Zimmer zerstört seine Bilder, um Bilder zu schaffen.
Er treibt sie gegen Null. Und was dadurch entsteht,
ist quasi abstrakte filmische Malerei (als außergewöhnliches Beispiel
sei hier TWO MINUTES IN AMERICA genannt).
(In der Installation LE TOUR INVISIBLE (2001) lässt er die mangelnde
Bildübertragung von der Motorradkamera bei Liveübertragungen
von der Tour de France die Zerstörung der Bilder übernehmen.)
Dieses gegen Null Treiben ist vergleichbar mit dem, was Bresson
die Bilder wie „mit dem Bügeleisen plätten“ nennt, ihnen jegliche
singuläre Aussage nehmen. Erst im Zusammenspiel mit den anderen
Bildern, durch die Montage, erfüllen die Bilder ihre Funktion.
Schnitte
Die Montage, wenn auch oft nicht der letzte Arbeitsschritt,
da ihr meist das Abfilmen folgt, ist zentraler Arbeitsschritt.
Zimmers Arbeitsweise lässt den Betrachter den Begriff des
Schneidens in seiner Doppeldeutigkeit wahrnehmen.
Zimmer fügt zusammen (montieren), was scheinbar gar
nicht zusammengehört, was fragmentarisch, zerschnitten
(schneiden) erscheint. Die Einzelbilder haben keine Aussage,
Zimmer montiert sie zusammen, und was die Bilder tun,
ist nichts weiter, als uns ein Stück weit dem
Ende des Filmes näher zu bringen. Der Betrachter nimmt diese
Funktion nicht wahr. Die Bilder erscheinen direkt und unmittelbar
und mit dem Ende werden sie als das wahrgenommen,
was sie sind: Teil des Ganzen. Gemeinhin sind wir geneigt,
einen guten Schnitt als einen anzusehen, den wir gar nicht
bemerken, welcher der Story, dem Plot nicht entgegenwirkt.
Dies kann Zimmer nicht leisten, da es einen Plot nicht gibt.
Zimmer schneidet einen Nicht-Plot, Nicht-Bilder. Zimmer
schneidet „nichts“, um „alles“ zu bekommen: Film pur.
Seine Bilder sind unscharf, sein Schnitt ist um so schärfer.
Zimmer hat keine Technik des Schneidens. Seine Montage
ergibt sich aus dem Material und der Reflexion über dieses.
Wenn Zimmer in TWO MINUTES IN AMERICA die Schussszenen
schnell schneidet, sie Wiederholungen unterwirft und auch noch
durchs Abfilmen zerstört, dann treibt er dieses eh schon absurde
Treiben ins bodenlos Absurde. Das aus Fahrszenen bestehende
3 MINUTES IN AMERICA presst die ganze Dramaturgie des her-
kömmlichen Spielfilms in drei Minuten: Die Einführung des Sujets,
die Entwicklung des Konflikts bis zum Höhepunkt und schließlich
das versöhnliche Ende. Die Mittel (Schnitte) sind sehr bewusst gewählt:
Wiederholung ist keine dumpfe, der schnelle Schnitt kein Selbstzweck.
Wiederholungen sind eher Variationen, versehen mit minimalen
Tempoänderungen; manchmal hält Zimmer auch inne und eine kurze
Pause in TWO MINUTES IN AMERICA wirkt wie die Ruhe vor dem finalen
Show-Down in einem John Ford-Western.
Diese Ruhe liegt Zimmers Videos immer zugrunde, unabhängig
von der Geschwindigkeit der Schnitte, unabhängig von laut und leise:
„Silence can be sometimes very loud.“ (John Cage)
Zimmer schneidet mit Auge und Ohr. Zimmer benutzt, wenn möglich,
den Originalton des benutzten Materials und das Schneiden ist ein
Schneiden von Bild und Ton zugleich. Erst der Schnitt bringt Bild und Ton
in Kongruenz. Seine Rhythmen sind gleichermaßen visuelle wie musikalische,
sein Schneiden ist immer musikalisch. Und wenn sich in END OF THE STORY
die fetten Orchesterakkorde der Auf- und Abspannmusiken nur so abwechseln,
dann klingt das fast wie Musik der Postmoderne, wie ein Stück von Buckinx
oder Laursen, und ist dem Visuellen mindestens gleichwertig.
If „painting“ is your material, then how you paint could mean more
than what you paint. (Morton Feldman)
Zimmer schneidet einfaches, uns täglich begegnendes Material,
und schafft damit ein Stück Kunst. Diese Lapidarität hat ihren Sinn.
Zimmers Kunst ist mehr der Arbeit verpflichtet und tritt ein für ein
Akzeptieren unserer Umgebung, der realen Welt. Zimmer sucht nicht
das Besondere, sondern er verrichtet (seine) Arbeit, eine Arbeit präziser
Wahrnehmung, die auf dem Handwerk fußt und über es hinausgeht,
um sich den Bedingungen des jeweiligen Projekts zu stellen.
Durch diese Arbeitsweise, in der die Form (das Schneiden)
das operative Element ist, erreicht Zimmer in seinen Arbeiten
ein hohes Maß an Übereinstimmung von Form und Inhalt,
er schafft eine filmische Sprache in dem Medium des experimentellen
Videos, wie sie vielleicht am substanziellsten von Yasujiro Ozu
und Robert Bresson im großen Kino geschaffen wurde und
der Bresson einen Namen gab: Kinematograph.
Chapeau, Herr Zimmer!
(Hauke Harder; aus: Kai Zimmer Katalog #1, 2001)
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